#stayathome

This March/April, during the lockdown in Berlin due to the Corona crisis, Karen transformed every single room in her apartment into a camera obscura. She has been working with this phenomenon since 1994, converted a horse caravan and other rooms as part of her workshops into Camera obscurae. It was obvious to use this technique during the lockdown. The world outside is upside down, our own four walls are the constant.

All of the rooms in her apartment on Karl Marx Allee, Berlin, became a camera obscura. Everything in the apartment was packaged white. it’s not just about the visual aspect to emphasize the projection of the outside space, or even to hide individual items, but to highlight them: teddies in the bedroom were wrapped with toilet paper, glasses in the kitchen were filled with flour, etc. In self-isolation, she sits in this familiar apartment, looking at the world outside. Through the unusual and yet well-known way of looking at the room and world around her, the environment becomes rediscovered and reconsidered.

#stayathome ist eine der globalen Parolen der Pandemie 2020/2021. Um sich und andere nicht mit dem neuen SARS-Virus anzustecken, ist es das Gebot der Stunde, zu Hause zu bleiben. Für manche Künstler eine Abwechslung in einer Zeit, die sonst nach einem immer Schneller, Höher und Mehr geschrien hat.

Karen Stuke ist eine der Künstlerinnen, die viel zwischen Berlin, Istanbul, Neapel und London gependelt ist, um Kunst zu machen oder zu präsentieren. Sie liebte den internationalen Austausch und die Inspiration auf ihren Reisen. Da war es für sie eine neue Erfahrung, sich in ihrer Berliner Wohnung für längere Zeit weitgehend zu isolieren und weder neue Orte kennenzulernen noch jemanden zu treffen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie aus der Limitierung ein fotografisches Projekt entwickelte.

Dazu muss man wissen, dass Karen Stuke sich seit ihrer Studienzeit 1994 bei Gottfried Jäger an der Fachhochschule Bielefeld der Camera Obscura verschrieben hat. Das ist jener scheinbar simple optische Apparat, der schon weit vor der Entdeckung der Fotografie benutzt wurde. Dabei entsteht nur durch ein Loch im Kasten ein horizontal und vertikal verdrehtes Projektionsbild auf der gegenüberliegenden Seite, das noch dazu nicht wirklich scharf ist. Solche Einschränkungen führen aber oft zu künstlerisch interessanteren Projekten als die besten Laborbedingungen. Karen Stuke nutzt auch die notwendigen längeren Belichtungszeiten aufgrund der kleinen Öffnung als konzeptionelle Parameter ihrer Themen. Zum Beispiel lichtete sie für ihre Serie „Opera Obscura“ ein ganzes Theaterstück in einer einzigen stundenlangen Aufnahme ab.

Bei den Bildern der Serie „Once there was a way back Home“ benutzt die Künstlerin ihr Auto als Stativ und hat auf Fahrten durch europäische Tunnel von ihrem Armaturenbrett aus belichtet. Zeit, Licht und Raum entwickeln eine Sogwirkung aus Formen und Farben. Für die Bilder von „City Lights“ hat die Künstlerin nachts Drehrestaurants in Fernsehtürmen der Metropolen der Welt aufgesucht. Dort setzt sie die Camera Obscura für die Dauer einer vollen Umdrehung den Lichtern der Stadt aus. Es entstehen Panoramen aus einer Eigendynamik von Farben, Lichtern und Zeit. Diese stehen ganz in der Tradition der generativen Fotografie Gottfried Jägers, in der die Apparatur das Bild produziert.
Kurz gesagt, bei Karen Stuke ist die Technik immer stark mit einem Konzept verknüpft. Dabei geht sie weniger wissenschaftlich als experimentell vor.
Besonders bei ihren analogen fotografischen Arbeitsprozessen gewährt sie Zufällen ihren Raum um sie sich zunutze zu machen.

So geht sie auch in ihrer aktuellen Arbeit #stayathome vor. Aus einer Zimmer eine begehbare Camera Obscura zu machen, ist für Sie nichts Neues. Jedoch erhält dieses Experiment in der derzeitigen Situation inmitten einer Pandemie eine neue Bedeutung. Wir befinden uns im April 2020 in Berlin. Der erste Lockdown ist schon im Gange und alle Bürger*innen sind aufgerufen, möglichst Zuhause zu bleiben. Karen Stuke will das Jahrhundertereignis als Künstlerin begleiten. Sie bleibt also daheim und verdunkelt alle Fenster bis auf ein Loch pro Zimmer. Zusätzlich verkleidet sie alle Gegenstände und Möbel weiß. Sie zitiert dabei nicht nur die frühen Arbeiten von Christo, als er kleinere Objekte einpackte, sondern bietet der Projektion dadurch die optimale Reflektionsfläche und spielt mit der Wahl ihrer Verpackungsmaterialien. Die großzügig angelegten Wohnpaläste der Karl-Marx-Allee strömen in ihre Wohnung und legen sich detailreich auf alle Winkel. Ein übernatürlich strahlend blauer Himmel legt sich auf den Boden der Räume.
Draußen steht die Welt Kopf und drinnen das Bild dieser Welt. In den sicheren vier Wänden kann die Künstlerin ihre Umwelt und sich selbst reflektieren. Es sind Lektionen in Aufmerksamkeit und Entschleunigung. Dadurch, dass die Künstlerin ihre Wohnung in weißes Papier packt, Gläser mit Mehl füllt oder ihr Fotoarchiv verpackt, beginnt sie auch einen inneren Reinigungsprozess, wie wenn man einen Datenträger formatiert. Ein Nullpunkt ist erreicht, von dem aus sich die Künstlerin wieder neu orientieren kann.

Karen Stuke wurde mit ihrer Arbeit #stayathome als Finalistin des Vonovia Awards für Fotografie 2020 ausgewählt. In der dreijährigen Geschichte dieses hochdotierten Fotopreises, der sich mit den Aspekten des „Zuhause“ auseinandersetzt, hatte scheinbar kein Teilnehmer bis jetzt die Problematik der Gentrifizierung und der überteuerten Mieten in den größeren Städten zum Thema gemacht, die auch für die Geschäftspraxen der großen Immobilienkonzerne stehen. Auf den ersten Blick ist auch Karen Stuke nicht darauf fokussiert. Nur wer weiß, dass ihre Wohnung eine derer ist, die 2018 von der Deutsche Wohnen-Gruppe gekauft werden sollte, kann erahnen, was neben dieser zeitreflektierenden Darstellung einer Künstlerwohnung in der denkmalgeschützten Wohnanlage mitschwingt. Der Ausverkauf konnte mit Protestaktionen der Bewohner, einem breiten Presseecho und mit der listigen Unterstützung des Bezirks abgewendet werden. Nun kann diese ausgezeichnete Arbeit den internationalen Immobilienkonzern Vonovia SE dazu auffordern, sich seiner unternehmerischen Verantwortung für bezahlbaren Wohnraum zu stellen.
Wir hoffen, dass wir alle und insbesondere die Künstler*innen nach dem Ende der Pandemie wieder aus unseren Wohnungen gehen können, ohne diese zu verlieren, und sogar eine neue Sicht auf unsere innere und äußere Welt gewonnen haben.

Norbert Wiesneth, Director Photowerk Berlin, 2021


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