SLEEPING SISTER

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Labatut 2005


Cameraträume

ENGLISH TRANSLATION

Karen Stukes Camera obscura träumt einen doppelten Traum: als Camera in einer Kamera. Geduldig und still beobachtet die Schwarze Schachtel die Inszenierung einer Theaterbühne oder eines Schlafzimmers. Über Minuten und Stunden nimmt sie die flüchtigen Bilder in sich auf und versammelt ihre Lichteindrücke auf dem Film. Es sind Langzeitbeobachtungen, in denen sich die Zeitphasen überlagern und zu einem Gesamteindruck verschmelzen. Ein ganzheitliches Bild entsteht. Es entspricht dem Eindruck, der im Gedächtnis haften bleibt und abgerufen wird, wenn man sich nach Zeiten an eine Theateraufführung erinnern mag. Sie hinterlässt den Bildeindruck von Helligkeiten, Dunkelheiten, von spontaner Bewegung oder ruhigem Fluss, von Buntheit oder grauen Szenen.

Weniger scheinen dagegen Einzelheiten auf. Vielleicht doch das eine oder andere Detail, wenn es besonders prägnant auftrat oder die ganze Zeit über still verharrte und so einen bleibenden Eindruck hinterließ. Auch solche Momente sind in den  Fotos zu erkennen und geben ihnen Halt und dem Blick auf sie eine gewisse Orientierung, so dass sie – bei aller Abstraktheit – doch auch wieder ganz realistisch wirken. Nicht im Hinblick auf die Fixierung eines konkreten Geschehens vor der Kamera, als vielmehr im Hinblick auf die Wahrnehmung und Speicherung dessen im eigenen Gedächtnis. Es sind nicht direkte Abbilder sondern Bildreflexe, die auf diese Weise zustande kommen, indexikalische Zeichen, die die eigenen Verhältnisse thematisieren und sie gestaltend in sich einschließen. Das Konzept des Bildes bestimmt seine Form und Gestalt. …

Ganz überraschend wirken in diesem Oevre die Schlafbilder, in denen sich die Fotografin über Nacht selbst beobachtet. Es vergehen Stunden, während derer die Camera, still gestellt und mit geöffnetem Verschluss, die Eindrücke der Dunkelheit nach und nach sammelt und speichert. Erst gegen Morgen wird ihr intimer Blick beendet, der Tag beginnt. Zurück bleiben langsame, friedliche Bilder auf der Grenze zwischen Nähe und Distanz, zwischen Tag und Traum.

(Gottfried Jäger aus dem Buch: “Die Trilogie der schönen Zeit, oder: Warten macht mir nichts aus!”)


berlinrenovieren

Berlin Friedrichshain, Germany 2001


In ihrer Fotoserie Sleeping Sister thematisiert Karen Stuke Raum und Zeit gleichermaßen. Die Kamera dokumentiert den Ablauf des Schlafes und die stundenlange Belichtungszeit verdichtet sich schließlich in jeweils einem einzigen Bild. Das Intime und Voyeuristische, der Künstlerin bei der Nachtruhe zuzuschauen, unterläuft sie nicht nur durch den Seriencharakter, also viele solcher Nächte abzubilden, sondern auch dadurch, dass es immer wieder andere Orte sind, nicht das heimische Schlafzimmer. Und diese unterschiedlichen Schlafstätten machen einen besonderen Reiz aus, denn während der Betrachter das Interieur und die Art des Liegens genau studieren kann, ist die Liegende kaum erkennbar, verwischt durch die Bewegung während der Nachtruhe. Dadurch kommt auch Unruhe und Dynamik ins Bild, die man gemeinhin von Schlafbildern nicht erwartet. So ist uns die Porträtierte nah und fern zugleich. Die Körperlichkeit scheint sich aufzulösen, wirkt fast entmaterialisiert und entzieht sich so dem Dialog mit dem Betrachter und lässt ihn vor dem Bild allein. Da die Gestalt und das Individuelle kaum erkennbar ist, fokussiert der Betrachter stärker auf den – sich von Bild zu Bild verändernden – Umraum: mal ist er karg, mal dicht möbliert. Hier und da gibt es Anzeichen auf ein fernes Land oder dortige Hitze in Gestalt eines Ventilators. Dann wieder scheint der Fernseher am Fußende zu laufen oder ein anderer Mensch den Raum zu betreten, wie eine verschwommene Silhouette verrät. Auch die Schlafstätten sind höchst unterschiedlich, von der einfachen Matte auf dem Boden über Schlafsofas zu hohen Matratzen in schlichten oder bequemeren Bettgestellen. So wirkt die Serie wie die Dokumentation einer Globetrotterin und über die Fotos reist der Betrachter mit: Durch europäische Hauptstädte oder auf einer Kreuzfahrt ebenso wie zu weniger spektakulären Orten – indes decken sich die eigenen Assoziationen zu den Ortsangaben in den Titeln nicht unbedingt mit der in Karen Stukes Bildern eingefangenen Situation.

So zeigen die Fotos auch die Momente des Innehaltens während einer Reise, wenn man sich ausruht von den spannenden Erkundungstouren des Tages oder den anregenden Gesprächen mit Freunden und Bekannten, denn vielfach deuten die Liegestätten auf private Unterkünfte. Der Schlaf, wenn man sich ganz in sich selbst zurückzieht, ist für jeden lebenswichtig. Alle gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen und kosmopolitischen Einflüsse des Tages sind ausgeschaltet. Und die Schlafenden sind währenddessen völlig wehr- und schutzlos. Sie vertrauen darauf, am nächsten morgen wieder unversehrt und erholt zu erwachen – mit diesem Urvertrauen geht jeder Mensch Nacht für Nacht zu Bett, ungeachtet dessen, dass der Schlaf ‚der kleine Bruder des Todes’ ist.

(Petra Lanfermann aus dem Ausstellungskatalog:
„Es werde dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst“,
Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen/Stadtgalerie Kiel/
Kunstmuseum Mülheim a.d. Ruhr in der Alten Post 2009/10, S. 80 ff.)

exhibitiontion view »Es werde Dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst«, Kunstmuseum Alte Post, Mülheim an der Ruhr 2010

exhibition view „»Es werde Dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst«, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen, 2009

Venice, Italy 2012


Istanbul

Istanbul, Turkey 2009


Gotha, Germany 2009


MS Astor © Karen Stuke

M/S Astor, somewhere in the arctic sea 2008


Brackwede, Germany 2003


Zeit, relativ.

Die Nacht vom zweiten auf den dritten Mai 2004 verlangsamte meinen Zeitfluss merklich. Der Sekundenzeiger der Uhr bewegte sich langsamer über das Ziffernblatt, stockte, stand kurz still. Auslöser hierfür war Karen Stuke, die anlässlich einer Theateraufführung im Manoel Theatre, Malta, in kurzen Worten charmant ihr neues Kunstprojekt erläuterte. Eine Arbeit, die die Fotografin und Kommunikationsdesignerin bis heute vorantreibt: mit ihrer Camera obscura hebt sie Zeitdimension auf, relativiert den Zeitbegriff und konfrontiert uns brutal mit der Vergänglichkeit des Seins.

Der Galileische Relativitätsbegriff geht davon aus, dass Geschwindigkeit keine Eigenschaft eines Körpers ist, sondern eine relative Größe zwischen zwei Körpern. Albert Einstein greift diese Idee 1905 auf, erweiterte sie in seiner Speziellen Relativitätstheorie auf alle physikalischen Gesetze und beschreibt in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (1916) Raum und Zeit als ein untrennbar zusammengehöriges, gekrümmtes Gebilde:  Schwere Objekte krümmen den Raum und verlangsamen damit den Zeitfluss, schnell bewegte Objekte unterliegen einem langsameren Zeitfluss als weniger schnell bewegte.

Raumzeit ist also eine relative, Zeit verstreicht schlicht nicht überall im gleichen Tempo. Und das kann man sogar sehen. Denn Raum, Materie, Körper und Zeit ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk von Karen Stuke und manifestieren sich in ihren Bildern. Als Reflex auf die hektische, auf den Moment fokussierte Arbeit als Theaterfotografin, träumt die Berliner Künstlerin mit ihrer simplen schwarzen Lochschachtel einen eigenen Traum, lässt Raum und Zeit verschmelzen, versammelt flüchtige Momente durch teils stundenlange Belichtungszeiten zu einem einzigen komprimierten Gesamteindruck. Eine Stroboskierung aus hell und dunkel, Bewegung und Stillstand, abstrakter Farbverschmelzung und konkret sichtbarem Objekt.

Der Betrachter wird zum Vojeur, den Blick auf eine eingefrorene, stillstehende Welt gerichtet. Das gilt ganz besonders für die in den letzten Jahren entstandenen Schlafbilder, in denen sich die Fotografin häufig selbst über Stunden ablichtet, uns mit in ihr Schlafzimmer nimmt, vordergründig eine Intimität zulässt und doch der situativen Wehrlosigkeit als Subjekt nie zum Opfer fällt. Denn das Fotoauge hält nur fest, wertet und bewertet nicht, summiert lediglich als akribischer, unbestechlicher Buchhalter die Gesamtheit aller Eindrücke zu einer einzigartigen Bilanz der Zeit. Friedvoll kommen die Szenen zunächst daher und harmonisch. Doch mit jeder weiteren Minute des Betrachtens schleicht sich Unbehagen ein: die Bilder lösen sich in Fragmente auf, setzen sich als fraktale Geometrie im Hirn fest, immer mit dem Bestreben, die zeitlichen Abläufe unter Gesichtspunkten der Logik in eine schlüssige Abfolge zu bringen, stellen unsere Referenzsysteme damit auf eine harte Probe. Kunst ist ein zur Meisterschaft entwickeltes Können, und Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein. Und magisch sind die Arbeiten von Karen Stuke allemal.

(Lars Oldenbüttel, 23.1.2009, www.kulinariker.de)


Düsseldorf © Karen Stuke

Düsseldorf, Germany 2009


Osaka © Karen Stuke

Osaka, Japan 2006


Valletta, Malta 2007


Queen Mary, Long Beach 2007


Palavas les Flots, France 2001


Chavannes, France 2001


Sliema, Malta 2003


Mira, Italy 2006


LA © Karen Stuke

Los Angeles 2007


Hamburg St. Georg 2002


Rotorua, NZ 2006


aidavita 2004 © Karen stuke

Aida Vita, somewhere between Lisboa and Barcelona 2004


hamburg_brd_2004 © Karen Stuke

Hamburg, Germany 2004