THEATERBILDER

Theaterbilder in zeitlicher und räumlicher Totale

von Dr. Matthias Harder

Es begann mit der eigenen Theaterleidenschaft Mitte der 1990er Jahre in Bielefeld. Karen Stuke studierte Kommunikationsdesign an der dortigen renommierten Fachhochschule und schloss das Studium als Photographin mit einem Diplom bei Gottfried Jäger ab. Nebenher besuchte sie die Aufführungen des Bielefelder Theaters, wo sie im Fach Regie hospitierte. Damals entstanden ihre ersten Theaterbilder mit einer Camera Obscura…

Während festangestellte Theaterphotographen bei Proben in erster Linie Standbilder mit langen Objektivbrennweiten machen, interessierte die Berliner Künstlerin schon immer das Gesamtgeschehen zeitlich und räumlich als Totale. So belichtete sie 1995 in Bielefeld kurzerhand ein gesamtes Theaterstück auf einem einzigen Bild mit einer modifizierten Kamera. Die Gestik und Mimik der Sänger und Schauspieler sind auf einer solchen Langzeitaufnahme natürlich nicht mehr erkennbar; stattdessen sieht man schlierenhaft ihre Bewegungen auf der Bühne sowie die Verteilung der Protagonisten innerhalb des Bühnengeschehens mittels einer nahezu unendlichen Überlagerung und Verdichtung von Bewegungsspuren. Die Aufnahmen sind folglich auch eine Studie zum Faktor Zeit. Für die Photographin bleibt es wichtig, die Zeit letztlich nicht beeinflussen zu können….

In Stukes Theateraufnahmen steht häufig das Statische gegen das Flüchtige, eine feste Struktur gegen das Amorphe. Und das Amorph-Flüchtige kann auch aus projizierten Bildern auf dem Bühnenhintergrund bestehen, die sich in der langen Belichtung mitunter zu einer ebenso unentwirrbaren Schichtung zusammensetzen wie die Menschen davor….

Die Begeisterung für die beiden künstlerischen Ausdrucksmedien Theater und Photographie spiegelt sich auch in der Verwendung der Camera Obscura wider, denn die Pappboxen entsprechen formal einer Guckkastenbühne. Und die photographischen Abzüge präsentiert sie schließlich mit einem Distanzrahmen und verwandelt sie so in Miniaturbühnen an der Ausstellungswand.

Schließlich passen die beiden Ausdrucksformen Theater und Photographie aus einem weiteren Grund sehr gut zusammen: In beiden sind wir Rezipienten stets mit einer undurchdringbaren und irritierenden Verbindung aus Realität und Fiktion (sowie deren Spielarten) konfrontiert, die mal zur einen und mal zur anderen Seite ausschlagen kann. Karen Stuke verfolgt mit ihren Inszenierungen der Inszenierungen einen überzeugenden, präzisen wie subjektiven Ansatz.

Dr. Matthias Harder