SLEEPING SISTER

von Dr. Petra Lanfermann

In ihrer Fotoserie Sleeping Sister thematisiert Karen Stuke Raum und Zeit gleichermaßen. Die Kamera dokumentiert den Ablauf des Schlafes und die stundenlange Belichtungszeit verdichtet sich schließlich in jeweils einem einzigen Bild. Das Intime und Voyeuristische, der Künstlerin bei der Nachtruhe zuzuschauen, unterläuft sie nicht nur durch den Seriencharakter, also viele solcher Nächte abzubilden, sondern auch dadurch, dass es immer wieder andere Orte sind, nicht das heimische Schlafzimmer. Und diese unterschiedlichen Schlafstätten machen einen besonderen Reiz aus, denn während der Betrachter das Interieur und die Art des Liegens genau studieren kann, ist die Liegende kaum erkennbar, verwischt durch die Bewegung während der Nachtruhe. Dadurch kommt auch Unruhe und Dynamik ins Bild, die man gemeinhin von Schlafbildern nicht erwartet. So ist uns die Porträtierte nah und fern zugleich. Die Körperlichkeit scheint sich aufzulösen, wirkt fast entmaterialisiert und entzieht sich so dem Dialog mit dem Betrachter und lässt ihn vor dem Bild allein. Da die Gestalt und das Individuelle kaum erkennbar ist, fokussiert der Betrachter stärker auf den – sich von Bild zu Bild verändernden – Umraum: mal ist er karg, mal dicht möbliert. Hier und da gibt es Anzeichen auf ein fernes Land oder dortige Hitze in Gestalt eines Ventilators. Dann wieder scheint der Fernseher am Fußende zu laufen oder ein anderer Mensch den Raum zu betreten, wie eine verschwommene Silhouette verrät. Auch die Schlafstätten sind höchst unterschiedlich, von der einfachen Matte auf dem Boden über Schlafsofas zu hohen Matratzen in schlichten oder bequemeren Bettgestellen. So wirkt die Serie wie die Dokumentation einer Globetrotterin und über die Fotos reist der Betrachter mit: Durch europäische Hauptstädte oder auf einer Kreuzfahrt ebenso wie zu weniger spektakulären Orten – indes decken sich die eigenen Assoziationen zu den Ortsangaben in den Titeln nicht unbedingt mit der in Karen Stukes Bildern eingefangenen Situation.

So zeigen die Fotos auch die Momente des Innehaltens während einer Reise, wenn man sich ausruht von den spannenden Erkundungstouren des Tages oder den anregenden Gesprächen mit Freunden und Bekannten, denn vielfach deuten die Liegestätten auf private Unterkünfte. Der Schlaf, wenn man sich ganz in sich selbst zurückzieht, ist für jeden lebenswichtig. Alle gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen und kosmopolitischen Einflüsse des Tages sind ausgeschaltet. Und die Schlafenden sind währenddessen völlig wehr- und schutzlos. Sie vertrauen darauf, am nächsten morgen wieder unversehrt und erholt zu erwachen – mit diesem Urvertrauen geht jeder Mensch Nacht für Nacht zu Bett, ungeachtet dessen, dass der Schlaf ‚der kleine Bruder des Todes’ ist.

Dr. Petra Lanfermann
aus dem Ausstellungskatalog:
„Es werde dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst“,
Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen/Stadtgalerie Kiel/
Kunstmuseum Mülheim a.d. Ruhr in der Alten Post 2009/10, S. 80 ff.

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